Stabilität ist die größte Lüge
Zehn Jahre Bullenmarkt. Jeder Anleger hält sich für Warren Buffett 2.0. Rückenwind wird mit Können verwechselt, Depotgewinne mit Intelligenz. Dann kommt der Schwarze Schwan – Lehman, Corona, Energiekrise – und in wenigen Tagen bricht zusammen, was über Jahre als „Stabilität“ verkauft wurde. Besser der Anleger, der weiß, dass er nichts versteht, als der Ökonom, der mit Excel die Welt zu steuern glaubt. Fragilität, Robustheit, Antifragilität: An der Börse sieht man die Unterschiede brutal klar. Fragil ist das Sparbuch: scheinbar sicher, in Wahrheit durch Inflation langsam zerfressen. Robust ist die Eigentumswohnung in guter Lage: egal, ob die Kurse morgen fallen oder steigen, das Ding steht noch. Antifragil ist der Investor, der Volatilität nutzt – der in Panik kauft, an Schwankungen wächst und aus Fehlern Kapital schlägt. Komfort dagegen macht weich. Wer nur steigende Kurse kennt, braucht später „Risikomanagement-Seminare“, wenn es rappelt. Unsere Gesellschaft liebt die Illusion der Kontrolle, und die Börse ist der größte Jahrmarkt dafür. Zentralbanken fluten die Märkte, Staaten halten Zombie-Unternehmen am Tropf, Analysten erklären jede Kursbewegung mit Märchen. Kleine Rücksetzer werden weggeglättet – bis die große Lawine kommt. Wer jeden Mini-Crash unterdrückt, baut den Jahrhundert-Crash. Via Negativa: Weglassen statt Draufpacken. An der Börse heißt das: weniger Derivate, weniger Hebel, weniger Gurus mit Kurszielen. Wer nicht permanent „mehr“ will, sondern Fehler vermeidet, überlebt. Schaden entsteht fast immer durch das, was man hinzufügt – nicht durch das, was man weglässt. Und dann das große Tabu: Skin in the Game. Banker, Fondsmanager, Politiker – sie wetten mit fremdem Geld. Gewinne sind privat, Verluste sozialisiert. Früher riskierte der Feldherr sein Leben im Schützengraben. Heute riskiert der Fondsmanager maximal seinen Firmenwagen, während Steuerzahler seine Verluste tragen. In komplexen Systemen helfen keine 3000-Seiten-Regeln, sondern Heuristiken. An der Börse reicht eine Faustregel: Wenn dir jemand eine „sichere Rendite“ verspricht, lauf. Wer Aktien kauft, braucht nur drei Fragen: Ist das Unternehmen überlebensfähig? Ist der Preis nicht völlig absurd? Kann ich den Absturz aushalten? Alles andere ist Lärm.