Die Ökonomen der Wiener Schule predigen seit einem Jahrhundert, dass Zeit der entscheidende Produktionsfaktor ist. Jede Entscheidung ist ein Tausch: Gegenwart gegen Zukunft. Risiko gegen Ertrag. Hoffnung gegen Enttäuschung. Der Mensch altert, Maschinen verschleißen, Staaten verfallen, Geschäftsmodelle sterben. Und Ovid brachte es vor 2000 Jahren brutal präzise auf den Punkt: “Tempus edax rerum.” Die Zeit frisst die Dinge.
Nur einem einzigen Gut scheint das völlig egal zu sein: Gold.
Ich erinnere mich an einen älteren Investor, der mir vor Jahren seine Anlagestrategie erklärte. Er sagte: „Ich besitze Gold nicht, um reich zu werden. Ich besitze es, damit die Zeit mich nicht völlig ruiniert.“ Ein Satz, der damals wie eine Übertreibung klang. Heute ist er bittere Realität. Wir leben in einem geldpolitischen Experimentierfeld, in dem Staaten sich selbst mit Sondervermögen trösten und Zentralbanken versuchen, physikalische Gesetze außer Kraft zu setzen. Papiergeld schmilzt wie Schnee in der Frühlingssonne – und niemand scheint überrascht.
Während wir um Stabilität bitten, bleibt Gold stumm. Es zahlt keine Zinsen, verspricht keine Rendite, schenkt keine Dividende. Seine einzige Funktion ist radikal und unbestechlich: Es bewahrt, was die Zeit zerstört.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Gold ist die antifragilste Form des Nicht-Tuns. Ein Vermögenswert ohne Zukunftsversprechen, ohne politische Agenda, ohne „Wir schaffen das“-Narrativ. Und genau deshalb überlebt es jede Epoche. Staaten verschwinden, Währungen verfaulen, Imperien zerfallen. Gold bleibt. Tempus edax rerum. Ja. Die Zeit nagt an allem. Aber sie findet an Gold keinen Halt.
Vielleicht ist das der eigentliche Skandal der modernen Ökonomie:
Dass sich ausgerechnet das einzige monetäre Gut, das vollkommen zeitneutral ist, als letztes erklären lässt. Doch vielleicht muss man es gar nicht erklären.
Man muss nur akzeptieren, dass es manche Dinge gibt, die sich der Zeit entziehen. Gold gehört dazu.
Ein Wert, der nichts verspricht und gerade deshalb alles hält.