Die Ästhetik der Angst: Warum Social-Media-Depots keine Stärke zeigen, sondern Unsicherheit kaschieren
Man sieht sie überall in den sozialen Medien: diese digitalen Selbstbeweihräucherungen in Tabellenform. Screenshots von Depotübersichten, fein säuberlich anonymisiert, aber natürlich nur so weit, dass man die Summe am Ende gut erkennt. „Transparenz“, nennt man das. In Wahrheit ist es die neue Form der Angeberei – die narzisstische Buchhaltung des modernen Homo Diversificatus. Elf Fonds, dreizehn ETFs, ein bisschen Nachhaltigkeit, ein Hauch KI, etwas Gold zur Beruhigung, eine Prise Krypto- und Blockchain-ETF , Multi-Asset und vielleicht noch Emerging Markets für das Gewissen. Alles schön gestreut, „breit diversifiziert“. Klingt klug, fühlt sich klug an – ist aber oft nur ein intellektuelles Feigenblatt. Denn Diversifikation ist für viele keine Risikostrategie, sondern eine Flucht vor Verantwortung. Wer überall investiert, muss nirgends denken. So entsteht das Finanz-Äquivalent des Buffets im All-Inclusive-Hotel: ein Teller voller Mittelmaß, aber Hauptsache satt. Diese Menschen glauben, sie wären antifragil, weil sie viele Positionen halten. Tatsächlich sind sie nur fragil in viele kleine Stücke zerbrochen. Sie streuen nicht Risiko, sie verdünnen Überzeugung. Der Markt liebt genau diese Anleger. Sie sind die stillen Subventionierer derer, die wirklich Volatilität verstehen. Während die einen ihre Depotwerte posten, sitzen die anderen still da, warten auf den nächsten Sturm – und wissen, dass Robustheit sich nicht in Excel-Zeilen messen lässt. Das zeigt der eigentliche Witz dieser Social-Media-Depots: Sie sind nicht Ausdruck von Wissen, sondern von Angst. Angst, etwas zu verpassen, Angst, falsch zu liegen, Angst, nackt dazustehen, wenn die Musik aufhört. Diversifikation wird zum psychologischen Airbag einer Generation, die das Risiko intellektuell erklärt, aber emotional nie akzeptiert hat. Zeig mir kein Depot. Zeig mir, wie du schläfst, wenn es kracht. Denn am Ende zählt nicht, wie viele Fonds du hast – sondern wie viele Nächte du aushältst, ohne hineinzusehen.