Als Mara an diesem Morgen in ihrem Auto saß, auf dem Weg zur Küste, fühlte sie sich zum ersten Mal seit Monaten frei. Keine endlosen E-Mails, kein nervöses Tippen auf der Tastatur, kein Meeting, das sie in Atem hielt. Der Chef hatte sie mit einem Sonderurlaub überrascht, fast so, als hätte er gespürt, dass sie kurz davor war, innerlich auszubrennen. Seit die Tochter ausgezogen war, war das Haus still geworden, zu still. Ihre Trennung lag ein Jahr zurück, und der Job war wie ein Gerüst gewesen, das sie aufrecht hielt. Doch sie wusste: Dieses Gerüst konnte nicht ersetzen, was ihr Herz so dringend suchte. Als sie am späten Nachmittag die Küste erreichte, empfing das Meer sie mit dem Duft von Salz und Weite. Der Himmel färbte sich in warmes Orange, Möwen zogen ihre Kreise, und das Rauschen der Wellen klang wie ein Versprechen: Hier wirst du finden, wonach du suchst. Mara mietete ein kleines Zimmer in einem alten, weiß getünchten Gästehaus, dessen Fensterläden im Wind klapperten, stellte ihren Koffer ab und ging sofort hinunter an den Strand. Die Sonne stand tief, das Meer glitzerte wie flüssiges Gold. Mara setzte sich in den warmen Sand, spürte die Körner zwischen ihren Fingern und sah hinaus auf die Wasseroberfläche. Sie erwartete Ruhe – und bekam mehr als das. Zunächst nur ein Gefühl: ein leiser Ruf, wie ein ferner Gesang. Sie begann zu meditieren, schloss die Augen, atmete tief ein, ließ los, was sie belastete. Mit jedem Atemzug schien die Welt stiller zu werden. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, wie sich das Licht auf dem Wasser veränderte. Die Wellen glitzerten nicht mehr zufällig. Sie formten Bilder. Zuerst ihr eigenes Gesicht, dann Szenen aus ihrem Leben: Lachen mit ihrer Tochter, Nächte voller Gespräche mit dem Partner, Spaziergänge im Regen, Kindheitserinnerungen an Sommertage voller Freiheit. All das flackerte auf der Wasseroberfläche wie in einem lebendigen Traum. Und dann erschien sie – eine Gestalt aus Licht und Wasser, kaum greifbar, eher ein Leuchten als ein Körper.